Mehr als einen halben Kilometer von einer Ecke zur anderen: das ist Schloss Versailles. Eines der größten in Europa. Der Sitz der französischen Könige. Und doch ursprünglich „nur“ ein Jagdschlösschen vor den Toren von Paris. Schon seit dem 19. Jahrhundert ein Museum und heute UESCO-Weltkulturerbe. Ich war einen ganzen Tag dort. Und es war fantastisch. Kommt mal mit!
Okay, ich weiß. Der eigentliche Schlossherr von Versailles war Ludwig XIV., der Sonnenkönig. Er ließ das Jagdschloss seines Vorgängers außerhalb von Paris zu DEM Vorbild folgender Schlossbauten herrichten. Und doch hat mich immer schon mehr das Leben von Marie Antoinette interessiert, Erzherzogin von Österreich und Königin von Frankreich. Das Leben der unsteten jungen Königin gibt/gab bestimmt allerlei Grund zum Schimpfen – und sogar zur Revolution. Und doch ist sie viel mehr als die verschwenderische, prunksüchtige Kindkönigin. Wer von uns kann schon nachvollziehen wie es sich anfühlt, mit 15 Jahren von den Eltern (besser gesagt von der Mutter) in die Fremde verheiratet zu werden? Von einem recht geselligen Leben am österreichischen Hof in das strenge Zeremoniell des französischen Adels geschickt zu werden. Und dort auf einen kaum älteren Ehemann zu treffen, der (Verzeihung!) ein Langweiler mit Potenzproblemen war… Hoffentlich kann das keine von uns!

Hinter den Kulissen von Versailles
Um ein bisschen mehr über Marie Antoinette (1755–1793) zu erfahren, mache ich mich nicht allein auf den Weg nach Versailles. Ich begebe mich in die Hände einer kundigen Führerin von Musement – einem tollen Portal, bei dem man geführte Touren in Sachen Kultur, Unterhaltung oder Genuss buchen kann (und das nicht nur in Frankreich). Das Besondere an dem Tag in Versailles? Ich komme mit einer kleinen Gruppe in Räume, die man als „normaler Besucher“ nicht sehen kann. Und das Beste: Wir sind wirklich ganz oft allein unterwegs. Keine Menschenmassen. Keine 1.000 Handykameras vor jedem Ausstellungsstück. Ein Traum.




Ein besonderer Ort, den wir entdecken dürfen befindet sich in den privaten Gemächern Ludwig XV. Es ist das Schlafzimmer der Madame Dubarry, einer seiner liebsten Mätressen. Und der Nachfolger vom Sonnenkönig hatte wirklich viele davon! Während Ludwig der XIV. ein wacher Geist war, der für lange Zeit die Geschicke Frankreichs in Sachen Politik, Religion und allem drumherum lenkte und bestimmte, war sein Urenkel (ja, von denen davor schaffte es keiner auf den Thron, den der „Gott auf Erden“ 72 Jahre inne hatte) eine ordentlicher Lebemann. Seine berühmteste Mätresse war wohl die Madame de Pompadour.
Aber auch Madame Dubarry spielte eine gewichtige Rolle, vor allem weil Marie Antoinette sie so gar nicht leiden konnte. Um so „genervter“ sollte die junge Königin heute sein, wenn sie wüsste, dass über dem Bett der Mätresse heutzutage ein Porträt von ihr selbst hängt (Foto links)…
Es gibt so viel zu entdecken!
Noch ein kurzes Wort zum Bett. Madame Dubarry war nicht etwa sehr klein. Vielmehr schlief man zu dieser Zeit im Sitzen. Ein Grund: Man wollte nicht, dass einem der böse Geist während des Schlafens in den Mund führe. Klar, versteht sich. Wer wollte das schon?
Zu den besonderen Orten, die ich besuche, gehört der älteste Teil des Schlosses. Also der, der einmal als Jagdschloss von Ludwig XIII. erbaut wurde. Eine Reminiszenz an diese Zeit sind die Hirschköpfe, die den Innenhof zieren. Hinter den Fenstern, die hier hinausgehen, spielte sich das private Leben der Könige ab. Und das war ihnen nur wenig vergönnt. Die meiste Zeit mussten sie sich und damit Frankreich repräsentieren. Damit war eine strickte Etikette verbunden, etwas das Marie Antoinette gar nicht gerne hatte. Als sie an den französischen Hof kam, war sie gerade einmal 15 Jahre alt. Und dabei nicht sehr klug. Im heimischen Österreich verstand sie es aufs Vortrefflichste, ihren Lehrern zu entwischen. Statt zu lernen, tollte sie lieber mit den Geschwistern durch Schönbrunn. Und nun als Thronfolgerin und baldige Königin wurde es nicht besser. Wer sollte es wagen die junge Frau rügen, wenn sie mal wieder ihre Bücher nicht gelesen hatte?


Auf dem rechten Foto in der Galerie oben sieht man eine Bibliothek mit einem extra großen Tisch. Ich kann mir richtig gut vorstellen, wie Ludwig XIV. hier seine Karten ausgebreitet hat, um Kriege zu planen – oder zu schauen, wo dieses Österreich wohl ist, aus dem die zukünftige Frau seines Enkels stammen sollte ;-) Auf dem mittleren Bild sieht man eine goldene Uhr, die dem „Uhrenzimmer“ seinen Namen gibt. Sie kann neben der Uhrzeit auch die aktuelle Mondphase anzeigen – und funktioniert noch heute! Früher wurden in diesem Raum Spiele gespielt.
Arbeiten und Beten
Ludwig XIV. war also eher ein Arbeitstier. Darum gibt es auch mehrere Bibliotheken im Schloss. An eine schließt sich ein winzig kleiner Raum an. Wozu der wohl war? Hier hat sich der Sonnenkönig seinen Kaffee gekocht. Wirklich. Ganz selbst. Und endlich mal nicht von einem Haufen Dienern umgeben. Auf dem Foto links sieht man die Kapelle des Schlosses. Oder besser die 5. Kapelle, die 1710 erbaut wurde. Hier heirateten 1770 Ludwig XVI. und Marie Antoinette. Nachdem die junge Braut zuvor schon eine „Trauung per Stellvertreter“ in Wien und eine lange Reise über Straßburg (hier musste sie alles Österreichische hinter sich lassen) nach Versailles hinter sich gebracht hatte. Die Decke der Kapelle ist wirklich traumhaft schön ausgemalt! Und ich durfte sogar richtig hinein, auf einem der samtigen Stühle sitzen und die besondere Atmosphäre genießen.
Die Sache mit dem Sex
Jetzt noch ein kleiner Blick in das Schlafzimmer Ludwig XV. (Foto rechts), der sich übrigens niemals selbst wusch (waschen ist allerdings eh noch mal ein ganz eigenes Thema…), ankleidete oder zudeckte. Für all das und noch mehr hatte er Diener. Im Schloss arbeiteten rund 3.000 (!!!) Angestellte, zu Festen kamen noch einmal welche dazu. Was mit denen nach der Revolution passiert ist, konnte mir die Führerin nicht sagen. Aber wie immer hat der Klassenkampf wohl auch bei den unteren Klassen ordentlich Opfer gekostet… Hier in diesem Zimmer starb der Herrscher, leider kann man es nicht ganz sehen, da es gerade (Juni 2017) renoviert und restauriert wird. Auffällig sind aber die super dicken Vorhänge, die wie hier auch an den Türen hingen. Die haben natürlich die Sonne ausgesperrt, sollten aber vor allem gegen die winterliche Kälte helfen. Schließlich sollte sich der König bei Zugluft nicht erkälten!
Zudem waren die Schlafzimmer der Herrscher natürlich auch immer Ort für Spekulationen. Bei Ludwig XV. gingen (wie schon erwähnt) die Damen ein und aus. Bei Ludwig XVI. war es eher mau in den Gemächern. Es dauerte ganze sieben Jahre, bis er seiner Pflicht als Ehemann nachkam bzw. nachkommen konnte. Nicht, dass er es nicht versucht hätte! Die arme (und das meine ich wirklich ernst) Marie Antoinette musste sieben Jahre lang jede Nacht die tollpatschigen Versuche ihres Gatten über sich ergehen lassen, Sex mit ihr zu haben. Wissen tut man das, weil es damals nicht unüblich war, diese natürlichste Sache der Welt ausgiebig zu beschreiben. Und in Briefen an ihre Mutter berichtete Marie Antoinette von dem Dilemma. Und das war es wirklich. Schließlich sollte ein Thronfolger her. Und dann stellt euch mal vor, dass zwischen 15 und 22 Jahren es jeden Abend mit dem Sex nicht klappt. Da musste das arme Ding doch völlig verzweifeln! Lag es an ihr? Konnte/durfte es an ihm liegen, dem künftigen König von Frankreich? Mal abgesehen davon, dass er auch sonst nicht sehr charmant und aufregend war… Schließlich kam man (also eigentlich Marie Antoinettes Mutter) dem drängenden Problem auf die Schliche: es war ein gesundheitliches. Eines, dass man mit einer OP retten konnte, sogar damals schon. Alle riefen: „Juhu!“ Nur Ludwig nicht. Der hatte Angst… Irgendwann konnte ihn ein enger Verwandter zur OP überreden. Und dann wurde er doch noch zum echten Ehemann und sogar zum Vater. Und neben allem, was diese 7 Jahre mit IHR gemacht haben, möchte ich mir auch wirklich nicht vorstellen, was die mit IHM gemacht haben. Denn nicht nur der Hof und ganz Paris, sondern ganz Frankreich, ja ganz Europa machten sich zu dieser Zeit über Ludwig XV. lustig. Versteckt – und auch ganz direkt. Armer Kerl.

Bei Marie Antoinette hatten auch alle genau darauf geschaut. Hatte sie bei dem Ehemann vielleicht Affären, musste sie doch? Nachgesagt wurden ihr viele – in gemeinen Gedichten zum Beispiel. Nachgewiesen wurde für diese Zeit nichts. Und doch holte sie sich ihr Vergnügen. Mit Prunk und Pomp. Kaum eine hat je so viel Geld ausgegeben wie sie. Und das nahmen die Revolutionäre 1789 zum Anlass, ihr – der ungeliebten Österreicherin – besonders übel mitzuspielen. Auch sie verlor ihren Kopf. Und bei allem, was sie unbedachter Weise falsch gemacht hat, hatte die junge Frau auch echt Pech. Das Schicksal war nie wirklich auf ihrer Seite. Eine Medaille hat eben immer zwei Seiten!
Der Rückzugsort
Der Park von Versailles ist riesig. Als er entstand, gab es hier draußen vor der Stadt nicht viel. Er ist ein echtes barockes Meisterwerk mit Wegen, Grünanlagen, Brunnen, geheimen Gängen zwischen Büschen und Wald. Und manchmal auch mit ordentlich dunklen Regenwolken! So ungefähr muss es auch am Hochzeitstag von Marie Antoinette und Ludwig XV. ausgesehen haben! Denn am Tag der Tage sorgte ein ordentliches Unwetter dafür, dass das gemeine Volk wie begossene Pudel zurück nach Paris flüchtete. An der Trauung in der Kapelle durfte natürlich keiner von ihnen teilnehmen. Aber der Garten war für eine dolle Feier offen. Regen und Gewitter machten dem einen Strich durch die Rechnung.



Ich habe ein bisschen Glück, entgehe zwei Mal einem Schauer. Beim dritten Mal ist mein Glück aufgebraucht, und jetzt bin ich der begossene Pudel ;-) Wenn man durch den Park schreitet – und ja: man schreitet –, dann entdeckt man eine Vielzahl an Statuen und traumhaften Blüten. Und je weiter man sich vom Schloss entfernt, desto näher kommt man dem Petit Trianon – dem Schlösschen der Königin. Ursprünglich ließ Ludwig XV. das Mini-Schloss für Madame de Pompadour errichten. Ein Liebesnest also. Später schenkte sein Enkel es seiner Ehefrau Marie Antoinette. Ab da war es eher kein Liebesnest mehr. Der Ehemann und König kam wohl öfter mal kurz vorbei. Über Nacht blieb er nie.


Ins Petit Trianon floh Marie Antoinette, wenn es ihr im Schloss mal wieder zu viel wurde. Wenn die Etikette des Hofes zu sehr drückte. Sie ließ das Häuschen nach ihren Vorstellungen umbauen und einrichten. Hier – und in den kleineren Gebäuden drumherum – veranstaltete sie Feste und Konzerte. Weiter oben sieht man eines der Zimmer, ausgestattet mit Musikinstrumenten. Es gab auch ein Billardzimmer. Hier traf sich Marie Antoinette auch mit Hans Axel von Fersen, einem adligen schwedischen Staatsmann. Mit ihm soll die Königin laut Überlieferungen dann doch eine Affäre gehabt haben. Vielleicht war sie ihren drögen Ehemann irgendwann einfach leid?! Ganz genau wissen tut man es bis heute nicht. Von Fersen jedenfalls soll ein lässiger Typ gewesen sein, der auch mal auf dem Feld mit anpackte. Könnte schon sein, dass er der Königin gefallen hat… Und dann ist im Petit Trianon noch eines geschehen: Das ist der Ort, an dem Marie Antoinette von den herannahenden Revolutionären erfuhr. Den Leuten, die nichts lieber sehen wollten, als ihren Tod und den der ganzen adligen Bagage. Es ist der Moment, der der Tragödie um die junge Frau sprichwörtlich die Krone aufsetzte. Aber wer weiß, vielleicht würden wir ohne all das heute nicht mehr über sie sprechen. Ihr Leben erforschen und uns mit ihren Widersprüchen auseinandersetzen. Oder weiß einer von euch, wie die Frauen der vorherigen Könige Frankreichs hießen oder wie sie ihr Leben lebten (nicht die Mätressen, versteht sich)?
Was geht noch in Versailles?
Wer mag, kann übrigens mit dem Rad durch den Schlosspark fahren oder ein Ruderboot mieten. Hach, wie romantisch. Außerdem fährt ein kleiner offener Zug durch den Park. Alle Infos über Öffnungszeiten und Preise findet ihr HIER. Und zu essen gibt es in Versailles natürlich auch etwas. Aber Achtung, packt Geld oder Kreditkarte ein! Aber mal ehrlich, wenn man schon mal dort ist. An der Wiege der französischen Küche. Dann muss man dort doch auch etwas essen… Es gibt im Schloss und im Park verschiedene Möglichkeiten. Ich habe mich für das Angelina entschieden – und hier für das Restaurant mit Sitzgelegenheit. Es gibt auch eine Art Take away. Da der Tag in Versailles mit all seinen Wegen durch Schloss und Garten lang ist, taugt mir eine Mittagspause im Sitzen und in stilechtem Ambiente sehr. Ich bestelle Foie gras mit Aprikosenkompott und ein Zitronen-Törtchen – und bin sehr zufrieden.


Und noch ein wenig mehr

Einen lieben Dank an alle, die hier am Ende noch dabei sind! Der Text ist echt lang geworden. Dabei gäbe es noch so viel mehr zu sagen. Über Versailles. Über seine Könige. Natürlich über Marie Antoinette. Aber alle, die sich wie ich für die Königin interessieren, empfehle ich „Marie Antoinette“ von Stefan Zweig (1881–1942). Der österreichische Schriftsteller schafft es, fundiert und gleichzeitig in schönen Worten über das Leben der jungen Königin mit zweifelhaftem Ruf zu schreiben.
Und jetzt noch eines zum Schluss: „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen…“ – diesen Satz hat man der Königin in den Mund gelegt. Den hat sie nie gesagt!